Evangelische Pfarrgemeinde Christuskirche

Die vier Jahreszeiten

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Frühling

Der Wecker klingelt, vor den Fenstern ist es dunkel und grau. Ein Wintermorgen. Schon wieder. Ich habe keine Lust. Im Bett ist es warm, draußen ist es kalt. Ich schwinge die Füße aus dem Bett und stehe widerwillig auf. Nützt ja nichts, es muss sein. Ich trete ans Fenster und schaue hinunter, auf die Grünfläche vor meinem Haus. Die Bäume sind kahl, das Gras noch ziemlich farblos. Braune Flecken blitzen durch. Und da sehe ich sie, die frischen Blüten. Ein Buschen Schneeglöckchen, frisches Weiß und saftiges Grün. Über Nacht gewachsen. Einfach so. Ich freue mich, und ein Lächeln schwindelt sich in mein Gesicht. Jetzt höre ich auch die Vögel in den Bäumen husten – Nein! – singen. Es ist doch noch ein guter Morgen. Endlich ist der Winter vorbei, die Tage werden wieder länger und die Natur lebt wieder auf. Und bald ist auch wieder Ostern, das Fest der Auferstehung. Schöner und heißersehnter kann keine Jahreszeit sein als der Frühling.

 

  Sommerzeit. Ferienzeit! Nachdenkzeit?

 „In the summertime when the weather is high, you can stretch right up and touch the sky“, lautet der Beginn des Golden Oldies der britischen Band Mungo Jerry aus dem Jahr 1970. Und selbst nach 45 Jahren drückt der berühmte Songtext noch immer aus, was wir uns – vielleicht nicht alle, aber ganz sicher die meisten von uns – vom Sommer erwarten: Schönes Wetter, Ausspannen und nach den Sternen greifen. Der Sommer ist die wärmste der vier Jahreszeiten, und die drei Monate Juni, Juli und August vereinen die meisten Wünsche, Hoffnungen und Träume auf sich. Sommerliebe, Caipirinha, Palmenstrand… In den neun anderen Monaten des Jahres ist es öfter düster und kühl, die Schulbank und der Job drücken die Schultern nieder. Und dann der Startschuss, rein in Freiheit, Sommer und Vergnügen! Aber Vorsicht, dahinter versteckt sich eine Falle: In drei bis vier Wochen Urlaub können wir unmöglich all das erleben und genießen, was wir uns den Rest des Jahres verkniffen haben. Um nicht enttäuscht zu werden, ist es nötig, sich nicht täuschen zu lassen, von den bonbonfarbenen Prospekten und den Urlaubsträumen aus Fantasiefabriken. Und leider müssen wir uns heute zur Zeit des Klimawandels schließlich auch noch fragen, braucht es wirklich jedes Jahr eine Fernreise, um das Glück zu finden? Wie viele davon hält unser Planet noch aus, damit es für unsere Kinder und Enkel auch Ferien wie damals geben kann? Und so ist der Sommer auch eine Zeit zum Nachdenken geworden. Lasst uns nicht fremden Träumen hinterherhetzen, genießen wir das Leben: „We're always happy. Life's for livin' yeah, that's our philosophy!“

 

Herbst

Die Nächte werden wieder länger, die Blätter werden bunt. Abends brennt der westliche Himmel feuerrot vom Sonnenuntergang. Der Sommer ist vorbei, der Herbst ist da. Wir danken für die reiche Ernte dieses Jahres. So Gott will sind unsere Scheunen voll mit den Gaben des vergangenen Sommers und des prallen Lebens. Im buchstäblichen und im übertragenen Sinn: Für die einen unter uns sind es wirklich Korn, Weizen und Obst, für die anderen schöne Erinnerungen und Erspartes. Auch die Tiere, die wir im Park oder auf unserem Friedhof an der Christuskirche beobachten können, bereiten sich auf den nahenden Winter vor. Auf die Zeit der Entbehrungen oder des Winterschlafs. Und mit den Nebeln im November kriecht auch die Erinnerung an unseren eigenen Tod in unser Leben. Wir gedenken unserer Toten, unserer Verwandten, Freunde und Bekannten, die uns in das Ungewisse vorausgegangen sind und schmücken und pflegen ihre Gräber. Die Schönheit der Natur und die Umsicht unserer tierischen Kollegen ringsum sind dabei Versprechen und gutes Beispiel: Spare in der Zeit, so hast Du in der Not! Wenn wir später die kahlen Bäume sehen und Dunkelheit und Kälte spüren, so können wir vertrauen, das in unseren Köpfen noch die Bilder sind, vom bunten Laub, den herrlichen Sonnenuntergängen und der gemeinsam durchlebten Stunden. In unseren Vorratsräumen finden wir, was uns durch jeden Frost bringt. Und am Ende jeder Nacht folgt ein Sonnenaufgang, nach jedem Winter kommt wieder der Frühling, nach jeder Zeit der Entbehrung eine Zeit des Überflusses und der Freude. Nichts ist auf immer verloren, ein Anteil des Schönen und des Lebens bleibt stets erhalten. Das ahnen wir im Herbst, wenn die bunten Blätter zu Boden fallen, und wir wissen es, wenn in den kahlen Ästen im Frühjahr neue Knospen sprießen, die Tiere wieder erwachen, die Vögel wieder singen, und die Blumen blühen, wo noch vor kurzem scheinbar nichts mehr gedeihen wollte.

 

Winter

Wintermärchen und Weihnachtsgeschichte. Der Winter kann so viel mehr sein als kahle Bäume, graue Tage und halberfrorene Finger und Zehen: Glitzernde Feenlandschaften aus Eis und Schnee, Adventmarkt, Schlittschuhlaufen und Punschtrinken. Und beides wird heuer für uns alle Realität sein, die unwirtliche Kälte und das romantische Ideal. Zahllose Familien werden diesen Winter auf Herbergssuche vor unseren Grenzen im Freien lagern und an die Türen klopfen, hinter denen das lauschige Kaminfeuer knistert, und die Weihnachtskekse duften. Die Szenerie erinnert uns doch sehr an eine ganz bestimmte Geschichte aus den Evangelien, und ich bin gespannt, ob diese Erinnerung auch etwas bewirkt, zum Positiven, meine ich. An den Winter knüpfen sich gerade durch diese besondere Erzählung, die Weihnachtsgeschichte, viele schöne Erinnerungen, nicht nur an den Advent und den Heiligen Abend, auch an Sylvester oder ans Schlittenfahren. Teilen macht mehr daraus, heißt es im Slogan so mancher Spendenaktion, und ich glaube wirklich, dass wir es schaffen können, unsere guten Erinnerungen an die Winterzeit zu vermehren, wenn wir das Gute mit unseren Mitmenschen teilen. Gerade auch mit jenen, die von weit her aus Krisen und Krieg zu uns kommen und wie Maria und Josef einen Platz zum Schlafen suchen. Dann wird der Winter dieses Jahr nicht bloß tot, kalt und schlammig sein, sondern auch warm und lebensbejahend. Wintermärchen und Weihnachtsgeschichte.

David G.L. Weiss